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Über Kunst, Selbstbeobachtung und Automatentheorie
Ein Gespräch mit Stan Lafleur

in: Eckhard Hammel (Hrsg.): Synthetische Welten. Kunst, Künstlichkeit und Kommunikationsmedien, Essen: Verlag Die Blaue Eule, 1996, S. 199-213 (ISBN 3-89206-598-5)

Teil 1

Stan Lafleur: Bitte erzählen sie etwas über das Zustandekommen der Wiener Gruppe. Handelte es sich um einen intellektuellen Zirkel oder um einen Verein von Bohemiens?

Oswald Wiener: Natürlich wird jeder seine eigene Version haben, aber soweit ich mich erinnere, war das Aufeinandertreffen der Leute rein zufällig.
Das war damals eine sehr bescheidene Sache, 1953, als ich ganz am Rande dazugestoßen bin. Das war eine Zeit des Aufbruchs, allgemein eines wirtschaftlichen Aufbruchs viel eher als eines geistigen, und das war alles im Vergleich zu heute viel individueller und überschaubarer. Es hat damals nicht das gegeben in Wien, was man heute die Massengesellschaft nennt. Es waren natürlich gleichviel Leute da, aber diese Leute waren weniger uniform, weniger uniformiert, weniger konformistisch.
Das Zusammenkommen von Leuten mußte - jedenfalls in der Schicht, zu der ich gestoßen bin - auf gemeinsamen Interessen beruhen. Diese Interessen waren nicht die alltäglichen, also nicht Sauferei und auch nicht der Geschlechtstrieb oder was, sondern es war eben die gute Sache der Kunst, Dichtung im engeren; für mich auch der Musik. Hier Gleichgesinnte zu finden, war die Hauptsache. Da muß ich gleich sagen, daß ein Teil meines Geschmacks von den anderen geformt worden ist. Das hat mich schon sehr beeindruckt, was die dort machten, und was die alles wußten. Als ich dazu kam, da war ich, glaub' ich, achtzehn. Artmann, damals irgendwie führend, war über zehn Jahre älter. Das bedeutet in dieser Zeit einen ungeheuren Unterschied.

Also hat sich ein Zirkel getroffen, der sich über das unterhalten hat, was mit der Literatur angestellt werden muß, über Sprachexperimente. War Dada ein wichtiges Thema?

Sie dürfen sich das nicht so vorstellen, daß man von Dada beeinflußt war, sondern Dada wurde wiederentdeckt in dieser Zeit. Es ist den Nazis ja gründlichst gelungen alle Spuren aus dieser Zeit, die nicht konform waren mit ihrer eigenen Ideologie, aus der Öffentlichkeit auszuputzen.
Alle öffentlichen Bibliotheken und viele private sind einfach durchforstet worden, und es hat nicht wenige Idioten gegeben, die ihre Erstausgaben weggeschmissen haben, entweder weil sie tatsächlich der Meinung waren, daß das absolut unverträglich mit ihrer Würde als Arier und Fackelträger der künftigen Nation war, oder weil sie Angst gehabt haben, ein Parteigenosse könnte das entdecken, oder es könnte ihnen irgendwann schwarze Punkte einbringen. Also die ganze Literatur war weg, die Kunst war weg; es war alles weg. Natürlich waren nicht alle Leute tot, die eine Erinnerung hatten, aber wir haben zu solchen Leuten kaum Kontakt gehabt.

Nach dem Krieg ist doch vieles wieder aufgelegt worden.

Das hat in den 60er Jahren begonnen, in den 40ern, 50ern war null. Da war die eine oder andere Ausstellung; Sonderausstellungen waren damals noch ganz anders gemacht als heute. Es hat eine große surrealistische Ausstellung gegeben, die vom französischen Kulturinstitut in die Wege geleitet worden ist, eine für Wiener Begriffe große. Das war mehr oder weniger die einzige Ausstellung moderner Kunst, die aus dem Ausland gekommen ist, die erste und die einzige für lange Zeit - die ich übrigens nicht gesehen hab. Die war sozusagen ganz knapp vor meiner Zeit.
Artmann wußte etwas über ausländische Dichter: Gómez de la Serna, Ghelderode und auch Joyce natürlich, Aber das waren ziemlich weit hergeholte Beispiele, und man hat sich aufgemacht, irgendwie. Man wußte: Dort liegt etwas versteckt, aber man wußte nicht was. Man hat sich aufgemacht, Trümmer zu finden und aus den Splittern etwas zu rekonstruieren, und dann war es einem durchaus möglich, wenn man Glück hatte, etwas aus der Zeit zwischen Jahrhundertwende und 1930 zu finden. Der Name Schwitters war bekannt. Aber was er geschrieben hat, wußte man am Anfang nicht, eher etwas über seine bildende Kunst. Oder August Stramm, der bedeutende expressionistische Dichter, der war total verschollen. Viele andere, zum Beispiel Hans Arp, als bildender Künstler bekannt, als Dichter unbekannt. Dann ist allerdings ziemlich früh in der Schweiz ein Buch herausgegeben worden von Frau Giedion-Welcker. Das war eine ältere Dame, die aus der Vorkriegszeit, überhaupt von ihrer Schweizer Herkunft her eine Bildung besessen hatte, die uns vollkommen abging. Die hat keineswegs repräsentative Dinge veröffentlicht, sondern Interessantes zum Beispiel von Kandinsky oder von Paul Klee. Das war für uns schon ein starker Hinweis. Wir haben das sozusagen nacherfunden, und während des Erfindens sind wir darauf gekommen, daß es große Teile dessen, was wir da machen, schon gibt. Das hat natürlich unsere Tätigkeit beeinflußt, in dem Maße, in dem wir fündig wurden. In dem Maße haben wir uns natürlich auch mit unserer eigenen Arbeit davon abgewandt. Aber das ganze Ausmaß war eigentlich erst um 1956 herum klar: Da gibt es eine ganze Kultur, und man hatte genügend Einblick, so daß man gewisse Dinge nicht zu wiederholen brauchte.
Ich bin einmal mit Gedichten von Rühm in die Schweiz gefahren (mit dem Fahrrad) und habe einem dort überlebenden Dichter, den wir sehr verehrt haben, Otto Nebel, die Werke gezeigt. Zum Teil schien es ihm mehr oder weniger dasselbe zu sein, wie das, was die anderen Expressionisten gemacht hatten, zum Teil schien es ihm nicht gelungen. Da ist also anläßlich meines Besuchs kaum eine Kommunikation zustande gekommen. Er ist dann später auf Einladung nach Wien gekommen, viel später, Mitte der sechziger Jahre oder so, und da habe ich ihn dann noch einmal gesehen. Da hat er sein Urteil geändert gehabt, gefunden, daß schon auch etwas Neues ist an dem, was die Wiener Gruppe gemacht hat. Auch in puncto Qualität hat er sich anders ausgedrückt.
Aber am Anfang war das irgendwie sehr merkwürdig. Da waren gewisse Spuren, die wir unwissentlich und unabsichtlich verfolgt haben, und dann waren natürlich auch wieder eigenständige Dinge da. Das hat sich vermischt zu einem zwar nicht unverwechselbaren, aber doch für die Zeit typischen Ganzen.

Wie radikal war das in der Ausführung?

Man hat damals natürlich strenge Ansichten von Radikalität gehabt - jedenfalls die Leute, die übrig geblieben sind aus der Wiener Gruppe. Ich habe vorhin von einem viel größeren Kreis gesprochen, der auch viele bildende Künstler umfaßte, vor allem bildende Künstler. Das ist dann zusammengekocht auf eigentlich zum Schluß dann nur vier Leute. Artmann hat sich gerade deswegen leicht absentiert, weil ihm die Sache irgendwie zu radikal, und wie er wahrscheinlich meinte, zu einseitig geworden ist. Das Radikale war zunächst einmal die Kompromißlosigkeit des künstlerischen Programms, das sehr rigide Maßstäbe anlegte an alles, was zeitgenössischerweise produziert worden ist - und dann an sich selber natürlich und zum Teil auch in den Auftritten, die schon ziemliche Radikalität erreicht hatten. Das literarische Kabarett im Frühjahr 1959, also ziemlich früh, denke ich, von heute aus gesehen, war eigentlich ein voll ausgewachsenes Happening, wie man es später genannt hat. Wir haben ein Klavier zertrümmert, mit Äxten... Über die Konzepte zu diesem Kabarett können sie nachlesen bei Rühm. Ich habe auch einen Aufsatz vor sehr vielen Jahren geschrieben, der da abgedruckt ist. Naja, das war für die damalige Zeit... Wir haben schon daran gedacht, Leute umzubringen, als Kunstwerk oder so - wenn das radikal ist. Aber es ist nicht geschehen.
Bayer, Achleitner, Rühm und ich haben uns zwei, drei Jahre lang fast täglich zu intensiveren Diskussionen getroffen. Der Tag war dann der Weiterbildung, dem Lesen und der Produktion gewidmet, und dann hat man sich fast täglich um acht Uhr in irgendeinem Kaffeehaus getroffen und die ganze Nacht durchdiskutiert und einander gezeigt, was man geschrieben hat, einander aufmerksam gemacht, was man neu kennengelernt hatte usw.. Da ist natürlich ständig diskutiert worden, und ständig haben wir uns besucht in unseren diversen Wohnungen und versucht von Anfang an etwas miteinander zu machen. Im Verlauf dieser zahlreichen Diskussionen und Besuche sind natürlich irre viel Ideen aufgetaucht, die dann wieder verworfen worden sind aus dem einen oder anderen Grund - teils weil man's für noch nicht machbar hielt; sehr gut, aber noch nicht machbar, teils weil jemand einen Grund hatte das abzulehnen. Es ist natürlich sehr merkwürdig, dann zu sehen, daß dann andere das machen, was als Idee vorhanden war. Aber beim zweiten Nachdenken ist es klar, daß das so sein muß, - weil man selber eingebettet ist in eine Denkweise, die man erst einigermaßen in den Griff kriegen wird, wenn man schon über diese fanatische, kreative Phase hinaus ist. Es ist ja klar, daß wir Gedanken und Ideen übernommen haben. Otto Nebel oder den anderen Expressionisten, die wir angesprochen, kennengelernt haben (ich habe noch mit Richard Huelsenbeck persönlich sprechen können; eine Veranstaltung in Berlin habe ich gemeinsam mit ihm bestritten, und da war Gelegenheit zu einem Gedankenaustausch), mußte es natürlich auch so vorkommen, daß eine ganze Menge von dem, was wir da gemacht haben, von denen und ihren Freunden schon konzipiert oder bedacht war. Das ist natürlich nicht einfach, solche Sachen zu akzeptieren, aber ich habe das schon akzeptiert. Ich habe zwar bei gewissen Dingen meine Vorbehalte, aber im Großen und Ganzen hat es eine ganze Reihe von Dingen gegeben, die wir als originell empfanden, die tatsächlich aber schon von anderen durchdacht und besprochen waren.

... wie von den Lettristen?

Vielleicht, obwohl das ziemlich in die gleiche Zeit fällt wie die Wiener Gruppe. Es gibt vielleicht eine Unabhängigkeit ganz anderer Art, wahrscheinlich auch mit den Situationisten, wo es nicht wenige Berührungspunkte gibt - zwischen Bayer und mir auf der einen Seite und zwei oder drei von den Situationisten. Das lag eher so, daß eine gemeinsame Vergangenheit da ist. Wir haben gar nicht gewußt, daß es die gibt, genausowenig wie die von uns etwas wußten.

Hat die Wiener Gruppe damals überhaupt öffentliche Rezeption gefunden?

Damals war das alles total verschwiegen, von der Öffentlichkeit, von der Presse verlacht. Daß dieses oder jenes Gedicht veröffentlicht worden ist, das hat gedauert bis in die 60er Jahre.

Wie ist es zu diesen Veröffentlichungen gekommen?

Damals ist fast nichts gewesen. Gomringer hat mit Unterstützung durch Dieter Roth und andere Leute in der Schweiz eine Zeitschrift herausgegeben: "Die Spirale". Die war schon Ende der 50er Jahre da. Da hatten wir zum Teil veröffentlicht. Dann hat es von Max Bense ein Heft gegeben. Da wollte ich aber nicht vertreten sein, da ich glaubte, daß Bense auf einem ganz falschen Zug sitzt. Dann hat es gegeben Franz Mon und Höllerer, glaube ich, haben einen Band herausgegeben. Das muß auch noch in den späten 50er Jahren passiert sein, aber das war's dann schon.
Die erste Publikation aus dem Kreis, der heute Wiener Gruppe heißt, war, glaube ich, 1958. Das war Hans Artmann mit Dialektgedichten. Das waren aber irgendwie ganz weiche Dialektgedichte; eher so'n leichter Kitsch, wenn ich das heute wieder lese und nicht der beste Artmann. Er hat sehr gute Gedichte geschrieben, aber dieser Dialektzyklus... (Da gefallen mir die Rühmschen Dialektdichtungen, die jetzt in ihrer Gesamtheit wiederaufgelegt worden sind, sehr viel besser; auch die Achleitnerschen, vor allem.) Es waren nicht Dichtungen, die ich hätte anerkennen können als für mich repräsentativ, sondern die waren eher mainstreammäßig und sehr geeignet für das Wiener Herz, diese lokale Nabelschau, die dort stattfand.
Die ersten Veröffentlichungen radikalerer Sachen waren erst so 63/64: "der kopf des vitus bering" von Konrad Bayer und solche Sachen. Konrad war gar nicht abgeneigt, mit Verlegern zu bandeln, die auch Schund produzieren. Mir wäre das unmöglich gewesen, mit einem Verleger zu verhandeln, der Dichtung produziert, die ich nicht gelten lasse, zum Beispiel diese ganzen Leute, die damals bekannt waren, die Gruppe 47 und so.

Da herrschte Krieg?

Krieg war nicht möglich von meiner Seite. Wer mit der Gruppe 47 zu tun hatte, war für mich eo ipso disqualifiziert. Mit dem habe ich nicht gesprochen. Da war ein Abgrund. Wir haben Kunst gemacht, und die andern haben halt getan, womit wir nichts zu tun hatten.

Heute schwer nachvollziehbar. Das hat sich schließlich alles aufgelöst. Es ist heute nicht mehr möglich, eine Idee so radikal zu verfolgen.

Das liegt zum Teil daran, daß auch die Ablehnung dessen, was wir gemacht haben, so radikal war. Das ist heute alles unheimlich assimiliert. Bei unserer ersten Lesung sind Drohungen ausgestoßen worden. Wir haben damals begonnen, auch schon äußerlich ein bißchen komisch auszusehen, mit langen Haaren und so. Da ist schonmal eine anonyme Faust aus der Menge gekommen, die einem auf die Nase geschlagen hat, nur deswegen, weil man keinen Scheitel gehabt hat.
Meine Situation in Österreich hat sich dann hochgeschaukelt. Ich bin geschieden aus Österreich, als Staatsfeind Nr. 1. Das hat vorgehalten bis Ende der 60er Jahre.

Das lief über die "verbesserung von mitteleuropa"?

Ja und meine Zusammenarbeit mit den Wiener Aktionisten. Das Ganze war ein einziges Hochschaukeln, das Anfang der 50er begann.
Dann sind Dinge passiert, die nicht mehr übersehen werden konnten von der Zeitung. Dann ist das Kesseltreiben konkret losgegangen. Vorher war es eher ein gedankliches; gelegentliche abfällige Bemerkungen von irgendwelchen Idioten, die in Österreich irgendwie große Männer waren. So hat's angefangen, und geendet hat's dann mit einer echten Verfolgung, Polizei und Gefängnis usw..

Wie ist es denn dazu gekommen, und wie hat sich das ausgewirkt?

Wie es dazu gekommen ist, ist eine lange Geschichte; wie es sich ausgewirkt hat, ist eine kurze Geschichte: Ich mußte Österreich unter Druck verlassen. Ich habe meine Freiheit riskiert, buchstäblich. Ich bin ständig mit einem Fuß im Gefängnis gestanden. Erstens einmal war ich kein Guter. Ich habe pausenlos Reibereien gehabt; ich hab mich herumgeschlagen, herumgeprügelt, einmal bin ich sogar eingesperrt gewesen, weil ich mit einem Revolver geschossen habe usw.. Aber das sind Dinge, die ich damals schon und erst recht heute als Reibungen mit der Öffentlichkeit sehe, bei denen ich im Unrecht war. Ich finde das ganz gut, daß die mich eingesperrt haben. Das will ich aber jetzt nicht in Betracht ziehen. Die Dinge, die wirklich gefährlich waren, waren die, bei denen ich als Quasi-Kulturbolschewist einer öffentlichen Verfolgung preisgegeben wurde. Ich habe verschiedene Veranstaltungen organisiert, die auf das höchste Mißfallen der Öffentlichkeit gestoßen sind. Diese Serie von Veranstaltungen hat dann gegipfelt in einer Veranstaltung an der Wiener Universität im Jahr 1968, wo einer von den Leuten, die mit mir aufgetreten sind, hingeschissen hat vor dem Publikum, auf dem Katheder, und dabei die Bundeshymne gesungen hat. Das ist eine ganz harmlose und lächerliche Sache. Das war damals schon für mich eine lächerliche Sache. Das war halt der symbolische Ausdruck einer Meinung, weiter war's nichts. Aber das hat die österreichische Öffentlichkeit ins Herz getroffen, und wir sind, auch ich, vor einem Geschworenengericht gestanden. Ich weiß nicht, ob ihnen das etwas sagt? Das ist normalerweise bei schwerem Mord oder so etwas der Fall. Der verantwortende Mann, der da hingeschissen hat, war Günter Bruhs, damals ein sehr bekannter Aktionist - auch heute, denke ich, noch ziemlich bekannt. Der hat sechs Monate schweren Kerker, verschärft durch einen Fastentag monatlich, bekommen für die Herabwürdigung österreichischer Symbole. Diesen Paragraphen hat es damals im Strafgesetzbuch gegeben. Ich selber war auch angeklagt. Es war zwar jedermann klar, daß ich der Organisator war und daher moralisch schuldig an der ganzen Sache, aber ich war nicht zu fassen. Also haben sie mich angeklagt, ich hätte gesagt, das sei ja alles ganz gut und schön, was bei unserer Veranstaltung passiert war, aber jetzt müsse man eigentlich in den Stephansdom gehen und dort hinscheißen.
Halte ich immer noch für einen Witz und für eine Harmlosigkeit. Selbst wenn's einer täte, würde mich das natürlich in keiner Weise aufregen, aber die Wahrheit ist, daß ich es nicht gesagt habe. Es ist aber gesagt worden - nur nicht von mir - und es war schon gerichtsbekannt, wer es gesagt hat. Aber die haben mich natürlich trotzdem mal zwei Monate in Untersuchungshaft behalten und vor ein Geschworenengericht gebracht. Es wurde mir gegenüber so formuliert: "Das ist schon richtig, wir wissen, der Herr X hat das gesagt (der übrigens nie angeklagt worden ist), aber das ist ja kein Beweis, daß Sie das nicht auch gesagt haben." So ist das dargestellt worden. Das ist dann soweit gekommen, daß ich plötzlich von Kriminalbeamten in Lokalen und auf der Straße angesprochen wurde und daß ich aufgefordert wurde, dies und jenes zu tun. Ich habe also gemerkt, daß ich auf Schritt und Tritt überwacht werde, daß Leute in der Nacht vor meiner Wohnung stehen und aufpassen, was ich als nächstes für einen entsetzlichen Angriff auf das österreichische Staatswesen und die österreichische Gemeinschaft starten würde usw.. Dann ist mir unter ganz merkwürdigen Umständen mein Führerschein entzogen worden; dann sind Haftbefehle gegen mich wegen Kinderschändung aufgetaucht usw. usw. mit denen, das versichere ich Ihnen, ich nicht das geringste zu tun hatte. Ich habe gemerkt, daß da ein systematischer Druck auf mich ausgeübt wird. Der Druck wurde überaus deutlich und meine Frau war schon sehr mit den Nerven herunter und ich auch, und da habe ich mir gedacht, was mach' in diesem Scheißstaat? Was will ich da? Natürlich sind Ende der 60er Jahre in Österreich dissidierende Strömungen aufgetaucht. Da hat man mir wiederholt irgendwelche Führungspositionen angetragen, klarerweise als Veteran der ganzen Sache. Aber das war völlig uninteressant, denn ich wollte nicht ein staatlich diplomierter Dissident werden.

Das hatte mit der Studentenbewegung zu tun?

Wir hatten in der Wiener Gruppe natürlich politische Diskussionen. Wir waren stark individualanarchistisch ausgerichtet, und wir kannten die ganze Literatur, aber eben nicht so kooperativ-anarchistisch wie die Studentenbewegung sich entwickelte, damals noch unter dem Dach des Marxismus. Wir waren nie Marxisten, weil der Marxismus für uns eine erledigte Sache war. Deswegen schon konnte die Zusammenarbeit nicht so eng werden, weil ich immer auf einem individualanarchistischen Standpunkt beharren mußte und dann dutzende Papiere nicht unterschreiben konnte.

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